11 | Alinas Blog: Abschiedsbrief an Neuseeland

Paragliden in Interlaken, Schweiz

Wir alle spielen immer bestimmte Rollen in unserem Leben – sei es als Kind, oder als Schwester, als Enkelin oder als Partnerin. Auch im Beruf schlägt man eine Richtung ein und bekommt demnach eine Rolle zugeteilt. Nun ist man die Lehrerin, oder die Sekretärin, oder die Ärztin. Manche Rollen suchen wir uns aus, andere wiederum bekommt man von anderen für ein Leben lang. Ich werde wohl immer „die Kleine“ für meine Familie sein.

Als ich das erste Mal auf Reisen ging, realisierte ich, dass man in kurzer Zeit komplett neue Rollen einnehmen kann. So erging es mir auch in Neuseeland – ich war plötzlich die Abenteuerin, die, die aus dem Flugzeug sprang, die mutig alleine das Land bereiste. Kurzum: Ich war die Reisende, nicht mehr nur die Tochter, die Schwester, „die Kleine“. Ich hatte mir eine neue Rolle erschaffen und genoss diese in vollen Zügen. Doch genau dies wurde mir in der Heimat zum Verhängnis. Genau diese spannende Rolle wurde mir weggenommen und ich war von einem Tag auf den anderen nur noch die, die halt ein Jahr lang weg war und jetzt wieder zurück war. Ich war die Komische, die es wagte, ihre Heimat zu verlassen um ans andere Ende der Welt zu ziehen.

Freunde von mir sagten, ich sei als „die Kleine“ nach Neuseeland gegangen, doch ich sei als Große zurückgekehrt. Leider sahen dies nur wenige. Umso schwieriger war es für mich, in die alten Rollen gezwängt zu werden und hilflos dabei zuzuschauen, wie all das Erkämpfte schrittweise verpuffte.

Dies war einer der Gründe, warum ich wieder losziehen musste. Ich musste weiter nach meinem wahren Selbst suchen – jenes, das keine Rollen kennt und das jedes Mal selbst entscheiden kann, welche Rolle es einnehmen möchte.

Es war natürlich nicht alles negativ beim Heimkehren, es war ein tolles Gefühl, meine Familie und Freunde wiederzusehen, das Essen zu probieren, das man so stark vermisst hatte und auch wieder den Luxus zu genießen, mehr Klamotten und Dinge zu besitzen.

Ich war allerdings auch etwas überfordert, wieder plötzlich so viele Sachen zu besitzen. Ich fing an, mein gesamtes Zimmer auszumisten, was nun viel einfacher war, da ich ja ein Jahr lang nur das Nötigste besaß. Es flogen Dinge, die ich seit Jahren nicht mehr brauchte, die ich allerdings auch nie wegwerfen konnte. Nun war ich befreiter und das Ausmisten fiel sehr einfach aus.

Es ist einerseits schön, dass alles gleich geblieben ist, doch andererseits ist das auch der springende Punkt – ich habe mich in diesem Jahr verändert, meine Heimat nicht. Für die Leute daheim ist alles mehr oder weniger gleich geblieben und sie verstanden meine Veränderung nicht. Es ist auch verdammt schwer zu erklären, was so ein Lebensabschnitt mit einem macht. Man vermisst das Herumreisen, das ständig neue Leute kennenlernen, das Geschichten erzählen und das Ausprobieren von Neuem. Ich kehrte zurück zum Alten, zum Alltag, zu den gleichen Leuten. Und so sehr ich es auch schätzte, dass alles beim Alten blieb, machte es mich doch auch ein Stück weit fertig.

Es klaffte und klafft auch noch immer eine große Lücke des Verständnisses. So sehr Freunde und Familie versuchten, meinen Geschichten zu folgen, die Lücke konnte nicht geschlossen werden. Zu viele Erinnerungen steckten dazwischen, zu viele Veränderungen, zu viele Erlebnisse, die man eben nicht erzählen kann, sondern die man erlebt haben muss.

Wie ist es, auf einer fremden Couch zu schlafen? Aus einem Flugzeug zu springen? Fremdes Essen zu schmecken? In Australien ein echtes Känguru zu sehen? In Singapur bei 32°C Außentemperatur und 80% Luftfeuchtigkeit unterwegs zu sein? In Kanada einen Orca zu sehen? Alleine ein Jahr auf sich allein gestellt zu sein? Alleine wandern zu gehen? Abends mit 10 Leuten aus verschiedenen Ländern über die Weltpolitik zu diskutieren?

Ich kann noch so sehr probieren, diese Dinge zu beschreiben, aber im Enddefekt muss man sie selbst erlebt haben. Selbst geschmeckt haben. Selbst gefühlt haben. Nur dann kann die Lücke gefüllt werden, Worte kommen hier nicht hinterher. Und so ist es auch schwer zu beschreiben, was man bei der Rückkehr spürt. Wehmut, Trauer, Fröhlichkeit, Nervosität – irgendwie ist alles gemischt.

Zum großen Unverständnis meiner Familie überwogen für mich die Wehmut und das Fernweh. Es setzte eigentlich bereits ein, als ich das erste Mal wieder deutschen Boden unter den Füßen hatte. Gehöre ich hier noch hin? Ist das meine wahre Heimat?

Pier in Brighton, England

Kaum war ich zwei Monate daheim, setzte ich mich in den Flieger und begann mein nächstes Abenteuer in England. Ich arbeitete in einem 4-Sterne-Hotel an der Rezeption und wohnte in Brighton direkt am Meer. Ich genoss die Sonne und den Strand vor der Haustür, doch etwas fehlte: Neuseeland. Ich machte noch einen Kurs zur Englisch-Lehrerin und kehrte dann zurück nach Deutschland für Weihnachten. Mittlerweile wohne ich in der Schweiz, um Geld für die nächste Reise zu verdienen.

Denn Reisende haben eines gemeinsam: Die nächste Reise ist nie in weiter Ferne. Besonders nicht im Herzen.

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Hier weiterlesen:

>> Teil 1 | Alinas Blog: Reisevorbereitungen & große Erwartungen

>> Teil 2 | Alinas Blog: Die Ankunft in Neuseeland

>> Teil 3 | Alinas Blog: Die Reise kann beginnen

>> Teil 5 | Alinas Blog: Die erste Couchsurfing-Erfahrung und viel schöne Natur

>> Teil 6 | Alinas Blog: Meine zweite Housekeeping-Erfahrung

>> Teil 7 |Alinas Blog: 6-wöchige Rundreise mit Christine

>> Teil 8 | Alinas Blog: Abstecher nach Australien

>> Teil 9 | Alinas Blog: Arbeitszeit in Mount Maunganui

>> Teil 10 | Alinas Blog: Fallschirmsprung in Queenstown

>> Rundreise auf der Südinsel – Work and Travel in Neuseeland

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