Während die meisten Digitalen Nomaden ihr Geld unterwegs mit Online-Marketing, Webdesign, SEO und Co verdienen, hilft Stella Airoldi mit ihrem Social Business „22 Stars“ benachteiligten Frauen und Kindern in Uganda. Über ihren Online-Shop verkauft die Niederländerin Schmuck aus recyceltem Papier, den ehemalige Kindersoldatinnen in Uganda herstellen. Kürzlich hat sie außerdem eine Stiftung gegründet, damit die Kinder der Frauen die Schule besuchen können, statt in der Steingrube für Cent-Beträge zu arbeiten. Damit auch andere digitale Nomaden erfahren, wie man ein ortsunabhängiges Business mit Social Impact aufbaut, organisiert Stella seit diesem Jahr Social Impact Workations in Uganda. Im Interview mit dem auslandsjob.de-Magazin spricht die 31-Jährige über ihren Weg zur ortsunabhängigen Sozialunternehmerin und die besonderen Herausforderungen, die dieser ungewöhnliche Weg mit sich bringt.
Digitale Nomadin oder Sozialunternehmerin?
w&t/magazin: Stella, siehst du dich eher als digitale Nomadin oder als Sozial-Unternehmerin?
Definitiv als Sozialunternehmerin. Den Begriff „digitaler Nomade“ habe ich erst vor zwei Jahren zum ersten Mal gehört und da war ich schon Sozialunternehmerin. Ich verwende den Begriff „digitaler Nomade“ aber, weil ich mit vielen digitalen Nomaden befreundet bin, keinen festen Wohnsitz habe und in den letzten Jahren viel in der Welt unterwegs war.
w&t/magazin: Wie kam es zur Gründung deines Social Business „22 stars“?
Ich bin 2009 das erste Mal nach Uganda gegangen, um für meine Masterarbeit über Mädchensoldaten zu forschen. Dort habe ich Frauen interviewt, die vor dem Krieg mit der Lord Resistance Army im Norden Ugandas geflohen sind.
Die hatten damals schon Schmuck aus Papier hergestellt, was ich sehr faszinierend fand, denn all die Ketten, Armbänder, Ohrringe etc. entstehen aus recyceltem Papier. Damals nahm ich viel Schmuck mit nach Hause und verschenkte ihn an Freunde. Das habe ich von 2009 bis 2012 so gemacht, drei Jahre lang. Jeden Oktober habe ich den Frauen eine E-Mail geschrieben und sie gebeten, mir ein Paket mit Ketten und Armbändern zu schicken. Die habe ich dann an Freunde und Bekannte verkauft. Immer wieder fragten die Leute nach speziellen Designs, die ich dann bei den Frauen in Auftrag gab.
Das klappte allerdings nicht immer, da die Frauen nicht genau verstanden, welches Design und welche Farben ich genau haben wollte. 2013 ging ich daher zurück nach Uganda, um vor Ort direkt mit den Frauen zusammenzuarbeiten und das Business weiter zu professionalisieren. Ich habe Fotos von dem Schmuck gemacht, die im Internet gepostet und „22 stars” offiziell bei der holländischen Handelskammer registriert. Mittlerweile verkaufe ich den Schmuck hauptsächlich über den Online-Shop.
w&t/magazin: Du verkaufst aber nicht nur Schmuck, sondern hast weitere Projekte gestartet. Was genau machst du?
Ich habe mittlerweile drei Projekte in Uganda: den Schmuckverkauf, eine Stiftung, bei der ich Schul-Patenschaften für Kinder in Uganda vermittle, und seit Neustem organisiere ich auch Social Workations in Uganda. Ganz viele digitale Nomaden sind schon Paten von einem meiner Kinder und die würden auch gern mal nach Uganda kommen, um die Kinder kennenzulernen und sich das Projekt anzuschauen. Daher kam die Idee, diese Social Workations zu organisieren.
Social Workations für digitale Nomaden
w&t/magazin: Wie kam es dazu, dass du neben dem Online-Schmuckhandel auch Schul-Patenschaften für die Kinder vermittelst?
Als ich 2014 wieder in Uganda war, musste ich feststellen, dass viele Kinder von den Frauen, die den Schmuck herstellen, immer noch nicht zur Schule gehen. Das hat mich etwas gewundert, denn wir hatten im vergangenen Jahr ziemlich viel Schmuck verkauft. Ich dachte, da hätte sich jetzt mal etwas ändern müssen. Dann haben mir aber viele Frauen erzählt, dass sie die Kinder schon in die Schule schicken, dass es aber eben nicht für alle reicht. Viele der Frauen haben acht bis zehn Kinder und von dem Erlös aus dem Schmuckverkauf können sie vielleicht drei in die Schule schicken, aber eben nicht alle. Oft betreuen sie außerdem Kinder von verstorbenen Verwandten, denn viele Menschen haben dort Aids. Ich habe dann viele Kinder gesehen, die dort in der Steingrube arbeiten, statt zur Schule zu gehen.
Ende 2015 war ich auf der ersten Nomad Cruise, einer Transatlantik-Kreuzfahrt mit vielen Digitalen Nomaden. Dort habe ich vielen Digitalen Nomaden von diesem Problem erzählt. Die brachten mich auf die Idee, eine GoFundMe-Seite zu starten, um via Crowdfunding Geld für die Kinder zu sammeln. Viele Leute versicherten mir, dass sie sofort spenden würden. Diesem Ratschlag bin ich gefolgt und konnte über meine GoFundMe-Kampagne einige Spenden sammeln. Von diesem Geld konnte ich dann elf Kinder in die Schule schicken.
“Digitale Nomaden brachten mich auf die Idee,
via Crowdfunding Geld für die Kinder in Uganda zu
sammeln.”
Das Problem war jedoch, dass die Kinder jedes Jahr Schulgebühren zahlen müssen. Ich wusste nicht, ob jedes Mal genügend Spenden über GoFundMe eingehen, um alle Kinder zu unterstützen. Daher kam mir die Idee mit den Patenschaften, damit das Schulgeld der Kinder wirklich jedes Jahr gesichert ist und sie nicht nach einem Jahr die Schule wieder verlassen müssen.
Über Facebook konnte ich dann in einem Jahr Paten für 60 Kinder gewinnen, nicht nur für die kleinen Kinder, sondern auch für Jugendliche. Da das so schnell gewachsen ist, habe ich dieses Jahr die Stiftung hier in Holland registrieren lassen. Nun ist es zu 100 Prozent offiziell.
Die Paten übernehmen eine Langzeit-Patenschaft für ein bestimmtes Kind. Man kann aber auch weiterhin mit einer einmaligen Spende auf der GoFundMe-Page helfen. Dieses Geld nutzen wir derzeit für Kleidung, Medizin und Essen. Jeden Sonntag kommen ca. 60 Kinder zu uns ins Büro und bekommen dort ein warmes Essen.
Digitale Nomaden: Kann man davon leben?
w&t/magazin: Kannst du dir mit deinem Social Business das Leben als digitale Nomadin finanzieren?
Das Geld, das ich mit dem Verkauf von Schmuck verdiene, fließt eigentlich komplett wieder in das Business zurück bzw. nun auch in die Stiftung. Ich könnte schon von den Gewinnen aus dem Schmuckverkauf leben, aber ich bin nicht darauf angewiesen. Ich besitze ein Haus in Holland, das ich vermiete. Dadurch hab ich ein regelmäßiges Einkommen. Nebenbei mache ich auch noch Freelance-Jobs, ich fotografiere zum Beispiel und mache Übersetzungen. Daher ist meine Priorität, mit dem Online-Schmuckhandel die Frauen in Uganda zu unterstützen. Klar, ich könnte mir das Geld auch selbst einstecken und dann davon leben. Aber es ist wie gesagt nicht nötig, da das Haus ziemlich viel abwirft. Als digitale Nomadin brauche ich ohnehin nicht so viel Geld, da ich sehr minimalistisch lebe. Als ich noch in Amsterdam gelebt habe, bin ich natürlich viel öfter essen gegangen, feiern gegangen und habe mir Klamotten gekauft. Das brauche ich jetzt in meinem Leben als digitale Nomadin gar nicht mehr so.
“Als digitale Nomadin brauche ich nicht so viel
Geld, da ich sehr minimalistisch lebe.”
w&t/magazin: Wie bist du überhaupt auf die Digitale-Nomaden-Bewegung gestoßen?
Als ich 2014 wieder nach Uganda gegangen bin, habe ich dort nicht so viel Anschluss gefunden. Andere Unternehmer habe ich nicht wirklich kennengelernt. Es gibt dort viel mehr Leute, die in der Entwicklungshilfe oder für eine große Organisation arbeiten. Dann bin ich nach Kapstadt geflogen, weil ich dort ein Foto Shooting für den Schmuck machen wollte. Dort bin ich zu Startup-Events gegangen, wo ziemlich viele Digitale Nomaden unterwegs waren. Mit den Leuten habe ich mich gleich super verstanden. Sie haben mich direkt zu Barbecues und zum Coworking eingeladen. Dadurch bin ich dann komplett da reingerutscht. Ich war auch total begeistert davon, wie man sich in der Digitale-Nomaden-Community gegenseitig unterstützt, Skills austauscht usw. Die Leute haben mir mit meiner Webseite geholfen, mit dem SEO, Newsletter und solchen Sachen. Und ich habe beispielsweise vielen Leuten erklärt, wie Instagram funktioniert, da ich einen recht populären Instagram-Account habe. Dieser Exchange of Skills war wirklich toll.
Arbeitsalltag und Produktivität auf Reisen
w&t/magazin: Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus?
Mein Tag sieht jedes Mal anders aus. Heute zum Beispiel habe ich von einem Geschäft in Amerika eine Anfrage bekommen, die meinen Schmuck verkaufen wollen. Dafür habe ich dann eine Excel-Tabelle mit den Preisen für den Schmuck erstellt. Außerdem bin ich damit beschäftigt, den Teilnehmern meiner ersten Workation im März E-Mails zu senden. Ich bin gerade für zwei Tage in Holland, bevor ich wieder nach Uganda fliege. Hier bin ich damit beschäftigt, den Schmuck, den ich auf Lager habe, zu sortieren. Vor Kurzem habe ich außerdem ein Foto-Shooting für die neue Kollektion in Marokko gemacht. Jetzt muss ich die Fotos bearbeiten und alles in den Webshop stellen. Also das ist ganz verschieden, was ich mache. In Uganda bin ich natürlich mehr mit den Frauen beschäftigt, um die Qualität des Schmucks zu kontrollieren.
w&t/magazin: Wie schaffst du es, auf deinen Reisen produktiv zu sein?
Ich mache es in der Regel so, dass es Phasen gibt, in denen ich extrem viel arbeite, und dann wieder Zeiten, in denen ich nichts mache. Also manchmal schließe ich mich wirklich für zwei, drei Tage ein und gehe vielleicht mal eine Stunde joggen, aber den Rest der Zeit verbringe ich wirklich hinter meinem Laptop, um alles abzuarbeiten. Dann kann ich es mir auch wieder leisten, ein paar Tage weniger zu machen oder komplett frei zu machen. Aber ich muss sagen, dass es in diesem Jahr schon viel härter geworden ist, weil ich jetzt auch noch die Stiftung habe und Social Workations veranstalte. Ich habe jetzt schon deutlich mehr Arbeit als in den letzten Jahren.
“Ich war total begeistert davon, wie man sich in der
Digitale-Nomaden-Community gegenseitig
unterstützt und Skills austauscht.”
Aber wie bleibe ich produktiv? Ich gucke immer, was ich am Computer machen muss und welche Sachen ich zum Beispiel auch über das Handy erledigen kann. Ich habe auch immer eine ToDo-Liste, das funktioniert recht gut.
w&t/magazin: Wie viel Zeit verbringst du pro Jahr in Uganda?
Meist bin ich zweimal pro Jahr für ein paar Monate dort. Dieses Jahr fliege ich sogar dreimal hin: im März / April, Juli / August und Oktober. Also meistens so vier bis fünf Monate pro Jahr, würde ich sagen. Aber dort verbringe ich nicht die ganze Zeit an einem Ort, sondern komme innerhalb Ugandas auch viel rum.
w&t/magazin: Kannst du von dort aus gut arbeiten? Wie sieht die Internet-Situation aus?
Also die Internet-Situation ist manchmal wirklich ein Horror. Das ist schon anstrengend. Es wird aber mittlerweile immer schneller. Es gibt schon Internet in Uganda, nur ist alles viel langsamer. Daher versuche ich die Arbeit so zu erledigen, dass ich all die Marketing-Geschichten mache, wenn ich nicht in Uganda bin, also Fotos ins Internet stellen etc. Wenn ich in Uganda bin, dann verbringe ich wirklich die meiste Zeit in den Slums mit den Frauen und den Kindern. Ansonsten muss ich hauptsächlich E-Mails beantworten und ein bisschen meine Social-Media-Kanäle pflegen, wofür das Internet auch in Uganda ausreicht.
Herausforderungen einer digitalnomadischen Sozialunternehmerin
w&t/magazin: Was ist die größte Herausforderung, ein Social Business mit einem digitalnomadischen Lifestyle zu verbinden?
Herausforderungen habe ich eigentlich viele. In Bezug auf mein Projekt zum Beispiel, dass die Frauen, mit denen ich zusammenarbeite, kein Englisch sprechen, nur ein paar von ihnen. Sie können auch nicht lesen und schreiben, haben wenig Zugang zum Internet. Das ist natürlich eine große Herausforderung. Viele Frauen haben außerdem Aids und sind daher ab und zu krank. Das ist wirklich schwierig. Aber ich wollte gerade mit diesen Frauen zusammenarbeiten und nicht mit Frauen aus der Mittelschicht oder so. Ich wollte mit Leuten arbeiten, die es am meisten brauchen.
“Das Thema gesund essen und sich genug
bewegen ist unterwegs eine Herausforderung.”
Als digitaler Nomade ist die Herausforderung natürlich das Reisen. Ich habe zum Beispiel manchmal einen Jetlag. Auch das Thema gesund essen und sich genug bewegen ist unterwegs eine Herausforderung für mich. Nicht überall habe ich ein eigenes Apartment, sondern bin oft im Hotelzimmer oder übernachte bei Freunden. Dann muss ich natürlich essen, was sie da haben oder es gibt nicht immer ein Fitnessstudio in der Nähe.
Tipps für angehende Digitale Nomaden
w&t/magazin: Hast du einen Tipp für angehende digitale Nomaden, die ebenso soziales Engagement und Reisen verbinden wollen?
Man braucht auf jeden Fall viel Geduld, wenn man wie ich mit anderen Kulturen zusammenarbeitet. Da funktionieren die Sachen teilweise ganz anders als bei uns. Manche Sachen sind nicht so selbstverständlich, zum Beispiel in meiner Situation die Farben von den Designs oder so etwas. Da muss ich schon immer etwas mehr erklären. Also deshalb: Geduld haben, nicht aufgeben und wirklich gucken, welches Talent man in einem Entwicklungsland findet und wie man es dann auch am besten nutzen und weiterentwickeln kann.
w&t/magazin: Was ist dein liebstes Reiseland?
Südafrika, vor allem Kapstadt. Das ist auch für Digitale Nomaden eine der besten Destinationen. Ich war leider schon seit zwei Jahren nicht mehr dort, aber hoffentlich bald mal wieder.
w&t/magazin: Was war deine schlimmste Reiseerfahrung?
Ich bin vor Kurzem mit dem Landrover von Marokko nach Burkina Faso gefahren. Das war in manchen Gebieten schon ganz schön heikel, vor allem, wenn wir im Dunkeln gefahren sind. Es gab keine Leute auf der Straße und nur Wüste für zehn Stunden. Das hat mir weniger Spaß gemacht. Uns ist zum Glück nichts passiert, aber ich hatte manchmal schon Angst. Ich habe die Reise dann auch frühzeitig abgebrochen, weil ich nicht mehr im Dunkeln fahren wollte. Ich liebe Afrika, aber ich finde nicht, dass man sich Risikogebiete und Risikozeiten zum Reisen aussuchen muss. Der Norden von Mali ist auch Kriegsgebiet, da wird generell davon abgeraten, dort rumzureisen.
w&t/magazin: Willst du noch lange so digitalnomadisch leben oder könntest du dir vorstellen, dir bald eine Homebase zu suchen und mehr Zeit an einem Ort zu verbringen?
Ich weiß es noch nicht so genau. Ich würde das glaube ich eher so machen: ein paar Monate hier, ein paar Monate da. Ich würde im Sommer vielleicht etwas länger in Nordeuropa bleiben und im Winter dann nach Südafrika oder Uganda gehen.
Danke für das spannende Interview, Stella!
Willst du mehr über Stella, ihre Projekte und ihren Lifestyle erfahren?
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>>22stars Kids Foundation: www.foundation22stars.org
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