von Philipp
Entscheidung und Vorbereitung
Ich heiße Philipp, bin 27 Jahre alt und komme aus einem beschaulichen 116-Seelen-Dorf im schönen Osterzgebirge. Nach dem Abitur wollte ich raus in die große weite Welt, Erfahrungen sammeln und neue Perspektiven für mein Leben gewinnen. Zu Anfang habe ich mit dem Gedanken gespielt, als Backpacker nach Australien zu reisen oder an einem Austauschprogramm in Europa teilzunehmen. Zufällig bin ich dann aber über das „Teach and Travel China“-Programm gestolpert und habe mich dafür entschieden. Zum einen aus Neugier auf das Unbekannte heraus und zum anderen, da ich mich selbst fordern und etwas ganz Neues kennenlernen wollte.
Ich habe mich dann kurzerhand für das Programm angemeldet und mit meiner betreuenden Organisation gemeinsam alle Visumsformalitäten erledigt. Nach einem Vorbereitungsseminar ging es dann von Frankfurt aus nach Beijing bzw. Peking.
1. Station: TEFL-Kurs in Beijing und der erste Kulturschock
Nachdem ich bereits in Frankfurt den ersten kleinen Kulturschock erlebt habe, da ich zuvor noch nie in einer größeren Stadt gewesen war, hat die Ankunft in Beijing mich absolut umgehauen. Bereits im Bus auf dem Weg zu unserem Wohnheim konnte ich im Angesicht der zahllosen Wolkenkratzer, der futuristischen Architektur und dem quirligen Straßenleben nur staunen. Im Wohnheim angekommen, habe ich meine Mitbewohner – zwei Jungs aus Großbritannien – kennengelernt. Wir waren bei dem einmonatigen TEFL („Teaching English as a Foreign Language“)-Seminar ca. 100 Teilnehmer aus allen Ländern der Welt – von Australien, Großbritannien und Skandinavien bis hin zu Deutschland und der Schweiz.
Vorbereitungskurs
Vormittags und am frühen Nachmittag bestand unser Tag aus Kursen mit den Schwerpunkten Englische Grammatik und Methodik des Unterrichtens. Das hört sich zwar etwas trocken an, hat aber dank des internationalen Umfeldes und den vielen verschiedenen Leuten vor Ort unheimlich viel Spaß bereitet. An den Nachmittagen und Abenden haben wir das moderne und traditionelle Beijing erkundet. Vom Geschäftsviertel und dem Olympiagelände bis hin zu der Verbotenen Stadt, traditionellen Hutongs (kleine Steinhäuschen) und wunderschönen Tempeln haben wir oft bis tief in die Nacht hinein die Stadt angesehen. Da wir alle sehr unternehmungslustig waren, haben wir an vielen Abenden die Kneipen- und Barviertel Beijings unsicher gemacht und waren in den skurilsten Karaoke-Bars und den verrücktesten Clubs zu Gast. Nach einem Monat haben wir unsere Abschlussprüfung gemacht, das Zertifikat erhalten und wurden auf das ganze Land zum Unterrichten verteilt. Für mich ging es mit drei weiteren Seminarteilnehmern in das zentralchinesische Chongqing.
An einem der letzten Abende in Beijing haben wir anlässlich des chinesischen Neujahrsfestes am berühmten „Houhai“-See ein echtes chinesisches Feuerwerk betrachtet. Für uns alle war das ein krönender Abschluss für diesen aufregenden ersten Monat in einem so fremden Land.
2. Station: Unterrichten in einer zentralchinesischen Mega-City – Die ersten Tage
Große und kleine Schocks
Am Abreisetag sind wir vier mit unserem Betreuer ganz früh zum Flughafen gefahren, um dann mit einem dreistündigen Inlandsflug nach Chongqing zu fliegen. Chongqing ist eine Stadt mit 30 Millionen Einwohnern und der Name der Stadt wird häufig mit „Doppeltes Glück“ übersetzt – allerdings stand mein Start in diese neue Stadt unter keinem glücklichen Stern. Zunächst einmal bin ich 1,92m groß und der Flugzeugsitz war für eine Maximalgröße von ca. 1,75m ausgelegt, da es sich um einen Inlandsflug gehandelt hat. In China sollte ich noch mehrfach erleben, was es bedeutet sich „eingequetscht wie eine Sardine“ zu fühlen. Angekommen in Chongqing mussten wir feststellen, dass die Temperaturen eisig kalt waren. Unser neuer Betreuer erklärte uns dann, dass es erst im Frühjahr warm und im Sommer bis zu 50 Grad heiß würde. Zudem erfuhren wir, dass Chongqing auch als die „Nebelstadt“ bezeichnet wird und die Sonne aufgrund der Kesselform der Stadt und des Smogs zumeist verdeckt ist.
Nach dem ersten kleinen Schock (wie Ihr seht, gab es für mich in China immer wieder kleine und große Schocks) ging es dann mitsamt unseres Gepäcks erst einmal zu unserer Schule. In unserem Fall handelte es sich um ein nobles Institut im 32. Stockwerk des „New York Buildings“ im Stadtzentrum (das Stadtzentrum Chongqings ist übrigens nach dem Vorbild Manhattens in den USA aufgebaut worden).
Lehreralltag in China
Wir lernten dann unseren Chef „Billy“ kennen, der uns in 2-er WGs einteilte und uns unseren Unterrichtsplan übergab. Jeder von uns sollte im Institut Kurse geben und zusätzlich in verschiedenen Schulen unterrichten. Ich wurde einer Grundschule, einer Mittelschule und einer High School zugeteilt. Ehe ich mich versah, befand ich mich morgens im übervollen Bus, durch dessen Fussboden ich die vorbeirauschende Straße sehen konnte, da dieser nur aus Holzbrettern bestand. Nicht selten stieg eine Station von mir entfernt eine Händlerin am frühen Morgen ein, die 5-6 gerupfte Hühner an den Füssen rumtrug und keine Rücksicht auf andere Leute im Bus nahm. Typisch für meine alltäglichen Busreisen war auch, dass viele Leute mich ansprachen, Fotos von und mit mir machten oder einfach auf mich zeigten und laut „Ausländer“ riefen. Dies war allerdings nie böse gemeint, sondern die Leute waren einfach fasziniert davon einen blonden, blauäugigen Riesen hautnah erleben zu können. Übrigens liegt die Durchschnittsgröße in Zentralchina für Frauen bei 1,50-1,55m und für Männer bei 1,60 bis 1,65m – Ihr könnt Euch also vorstellen, dass ich wirklich überall (!) aufgefallen bin.
Ich bin jetzt wirklich Lehrer
Ab ins kalte Wasser…
Damals in Deutschland hatte ich in der Ausschreibung für das „Teach and Travel“-Programm gelesen, dass wir nach dem TEFL-Seminar als „Assistant English Teachers“ arbeiten würden. Normalerweise ist das auch immer so. Nur bei mir eben aus irgendeinem Zufall nicht. Vor Ort stellte sich heraus, dass ich als vollwertiger Lehrer arbeiten sollte. Daran, dass ich auch einfach die Organisation anrufen könnte, um das Missverständnis aufzuklären und entweder in Chongqing oder woanders als Assistant English Teacher weiterzumachen, dachte ich in der Situation irgendwie überhaupt nicht. So kam es, dass ich mich bereits in den ersten Tagen vor zwei zusammengelegten High School-Klassen mit insgesamt 120 Schülern fand, die mich alle erwartungsvoll ansahen. Hinten in der Klasse saßen die Direktorin und ein ausgewählter Teil des Kollegiums – alle wollten sehen „wie wir im Ausland unterrichten und [von mir] lernen“. Ich war in der Schule nie der Typ, der sich viel gemeldet oder freiwillig Referate gehalten hätte und zudem saßen plötzlich mehr Leute vor mir als in meinem Heimatdorf leben und ich sollte sie unterrichten! Eine riesen Herausforderung für mich, die ich am Ende aber doch gemeistert habe.
“You have lesson now”
Wie Ihr Euch vorstellen könnt, war die erste Stunde eine kleine Katastrophe. Etwas frustriert fuhr ich später wieder nach Hause, setzte mich an den Esstisch und wollte einfach nur essen und abschalten. Plötzlich klingelte es an der Tür. Ich machte auf und sah einen Angestellten meines Instituts vor mir. Er hielt einen Zettel hoch auf dem geschrieben stand:„Hello. Follow me. You have lesson now.“ Ich versuchte ihm auf Englisch klar zu machen, dass ich jetzt frei hätte. Er hat allerdings kein Wort verstanden und hat darauf beharrt mich mitzunehmen. Eine Stunde später fand ich mich erneut vor einer Klasse im Institut und musste unterrichten. Jeder, der plant nach China zu reisen, sollte wissen, dass Chinesen in der Regel nicht langfristig planen und Entscheidungen oft in letzter Sekunde fällen.
Eine Entscheidung, die mein Leben verändert hat
In diesen ersten zwei Wochen haben zwei meiner Mitstreiter in Chongqing das Teach and Travel-Programm abgebrochen und sind zurück nach Hause gereist. Für mich stellten sich jetzt auch einige große Fragen: Sollte ich wirklich hier bleiben? Kann ich das Unterrichten und diese ständige Spontanität erlernen? Kann ich damit klar kommen, dass ständig überall so viele Leute sind, die Umweltbedingungen mich so fordern und ich doch eigentlich so weit weg von meinen Freunden und meiner Familie bin? Wäre es nicht einfacher wieder nach Hause zurückzukehren und einfach ein Studium anzufangen? Eigentlich wollte ich an diesem Punkt nur noch nach Hause – alles war mir zu viel geworden. Die erste Euphorie war verflogen und ich war nun sehr hart im Alltag und der Realität angekommen.
An diesem Punkt habe ich eine Entscheidung getroffen, die mein ganzes späteres Leben verändern sollte: Ich bin geblieben. Ich habe mich all meinen Ängsten gestellt, gelernt vor großen Gruppen zu sprechen und auch bei zeitweiliger Ahnungslosigkeit bestimmt und selbstbewusst zu bleiben. Ich habe mir Lehrpläne zusammengestellt, die ich auch bei spontanem Unterricht einsetzen konnte. Ich habe mich an die Lebensbedingungen und Menschen vor Ort angepasst und ihre Eigenheiten und ihre Art zu leben akzeptiert (auch wenn manches für mich auch heute noch unverständlich ist). Ich habe angefangen Chinesisch zu lernen und mich wirklich auf China einzulassen.
The right choice!
Mit meiner Mitbewohnerin aus Deutschland, die auch in Chongqing geblieben ist, habe ich dann noch viele Reisen unternommen. Wir waren z.B. in der traditionellen Stadt Chengdu und haben uns das weltbekannte Panda-Reservat angesehen, wir haben die Felsskulpturen von Dazu mit dem großen, liegenden Buddha, ein Weltkulturerbe, besucht. Ich habe viele Freundschaften geschlossen und heute ist meine damalige Mitbewohnerin meine Freundin. Wir sind unzertrennlich, da wir die gleichen Erfahrungen gemacht und dieses Abenteuer zusammen erlebt haben.
Mein Fazit
Ich rate jedem, der auch dazu bereit ist, sich auf etwas ganz Neues einzulassen und der lernen möchte die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen, an einem Programm wie „Teach and Travel China“ teilzunehmen. Diese Erfahrung hat mich zum Positiven verändert, mich stärker gemacht und mein Leben nachhaltig beeinflusst.
Ich lebe übrigens mit meiner Freundin zusammen, wir studieren beide Chinesisch/ BWL und reisen immer noch regelmäßig durch die Welt. Später möchten wir in China arbeiten.
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