Einige sammeln Panini-Bilder, andere Kronkorken, Nina Sedano sammelt Länder. Am 30. September 2011 hat sie ihre Sammlung komplett und im Alter von 45 Jahren, sieben Monaten und elf Tagen alle 193 Staaten der Vereinten Nationen bereist. Mit elf voll gestempelten Reisepässen darf sie sich nun „meist gereiste Frau Deutschlands“ nennen und ihrem Namen den Zusatz „Ländersammlerin“ hinzufügen. Über ihre Erlebnisse und ihr Streben nach Ferne hat sie ein Buch geschrieben, das prompt auf Platz eins der Spiegel-Bestseller-Liste kletterte. Immer mehr Leute haben Fernweh und träumen von einem Leben außerhalb des Hamsterrads und hier ist eine, die diesen Traum lebt – wenn auch in einer sehr extremen Form. Denn Sedanos Reise ist auch nach dem Abhaken von allen 193 UN-Staaten auf ihrer Liste noch nicht zuende, nun hat sie sich die Denkmäler des UN-Weltkulturerbes vorgenommen – 981 an der Zahl. Das könnte etwas länger dauern, vielleicht sollte sie sich schon einmal einen größeren Snickers-Vorrat anlegen. Sie selbst findet es allerdings nicht schlimm, dass sie in diesem Leben wohl nicht mehr alle Denkmäler sehen kann – nicht zuletzt, da es immer mehr werden.
Reisen als Berufung
Aber diese Frau braucht eben Ziele im Leben – je mehr und abenteuerlicher, desto besser. Dabei hatte sie ursprünglich einen recht spießigen Job als Bürokauffrau. 14 Jahre lang arbeitete sie in einer internationalen Reklamationsabteilung und investierte jeden Urlaubstag und jeden übrig gebliebenen Cent in Reisen. Durch die Kolleginnen (sie wurde gemobbt) und ungebunden zieht sie es in die Ferne. Sedano kündigt ihren Job, fortan ist das Reisen ihre Berufung, bis zu diesem Zeitpunkt hat sie 92 Länder dieser Erde bereist, 101 fehlen also noch. Nun macht sie Ernst und zieht alleine in die Welt hinaus. Unterstützung findet sie immer wieder so genannten Hashern – einer Gruppe, der sie sich bereits in ihrer Heimat Frankfurt angeschlossen hat. Hash House Harriers gibt es überall auf der Welt, sie treffen sich zu „Hash Runs“, Querfeldein-Orientierungsläufen in freier Wildbahn, in ihrer Freizeit. Es gibt ein internationales Netzwerk und ein Hasher hilft dem anderen aus – mit Kontakten oder auch mit einem Schlafplatz. Dadurch findet Sedano schnell Anschluss und spart sich auch die eine oder andere Übernachtung. Ansonsten schreibt sie über die Finanzierung ihrer Reisen nicht so viel, sie besitzt eine Wohnung in Frankfurt und wurde auch fortwährend von ihrer Großmutter und Mutter unterstützt, aber mit was für einem Budget man in etwa für so ein Projekt rechnen muss, hätte sicher die Reisewütigen auch brennend interessiert.
Gedanklich in die Ferne schweifen
Auch sonst bleibt ihr Buch oft an der Oberfläche, es ist schließlich auch kein leichtes Unterfangen 193 Reise-Episoden unterzubringen, aber Gefühle bleiben meistens außen vor. Natürlich schreibt die „Ländersammlerin“ auch über ihre Ängste – gerade als alleinreisende Frau, ihre Begegnungen mit Fremden in fernen Ländern, über die Last mit verschiedenen Visamodalitäten oder ihre besonderen Eindrücke, gerade in Ländern wie Turkmenistan, Nordkorea oder dem Irak. Was fehlt, ist die persönliche Note – die Sedano vielleicht auch bewusst ausgespart hat. Die Autorin schreibt relativ wenig über ihre Familie und Freunde, über ihren Joballtag am Anfang aber umso mehr – schließlich war er es auch, der sie zum Reisen gebracht hat. „Ich brauche dringend Abstand zu dem Leben in Frankfurt“, schreibt sie. Nach ihren vielen Reisen weiß sie die Heimat aber auch wieder mehr zu schätzen – sie freut sich, wenn sie auch mal wieder im eigenen Bett schlafen und ihre Freunde und Familie wieder sehen kann. Es sei eine Art „Hassliebe“, die sie zu ihrer Heimat im Laufe der Zeit entwickelt habe, so Sedano in einem ihrer vielen Kurzfazits, die es unter jedem Kapitel gibt. In anderen gibt sie Ratschläge zum jeweiligen Land, die allerdings auch sehr allgemein gehalten sind und so auch in allen gängigen Reiseführern zu finden sind. Auch dort hätte man sich von der „meist gereisten Frau Deutschland“ ein wenig mehr Insider-Tipps gewünscht. Fotos fehlen leider ebenfalls – die gibt es dafür bei uns. Für alle, die Ähnliches wie Sedano vorhaben, ist die „Ländersammlerin“ aber ein gutes Buch, weil es dazu ermutigt, sein Ding durchzuziehen. Für diejenigen, die lieber zuhause auf der Couch sitzen und gedanklich in die Ferne schweifen möchten, liefert das Buch ebenfalls ausreichend Stoff.
Nina Sedano, Die Ländersammlerin. Wie ich in der Ferne mein Zuhause fand. Die meistgereiste Frau Deutschlands erzählt, Eden Books 2014